Rundbrief Nr. 219 – Im November 2024 (2)

Einladung

Die Stefan-Andres-Gesellschaft lädt ein zum diesjährigen Geselligen Abend

„Literatur und Weinkultur“

für Samstag, den 30. November, 18.00 Uhr, Seminarraum des Niederprümer Hofs in Schweich.

„Amors plötzliche Pfeile“

lautet das Thema, das Stefan Andres immer wieder in ernsten und heiteren Varianten bearbeitet.

Dass die Begegnung des jungen Menschen mit Eros-Amor in seinem Werk einen wichtigen Stellenplatz einnimmt, ist bedeutsam bei einem Autor, der, wie einige seiner Protagonisten, für ein geistliches Amt bestimmt ist. Und so verwundert es nicht, dass diese Bestimmung jeweils miterwähnt wird, wenn der geflügelte Knabe mit Pfeil und Bogen die Regentschaft antreten möchte und dadurch einen Konflikt zwischen Pflicht und Neigung hervorruft.

Die autobiographisch gearteten inneren und äußeren Auseinandersetzungen erfahren ihre Poetisierung durch ein gerüttelt Maß an Selbstironie.

Drei Episoden dieser Art sollen in szenischen Lesungen der Rezitatoren (E. Cannivé-Boesten, J. Hansjosten, C. Schött, R. Hansjosten, B. Hansjosten) zu Gehör gebracht werden. Es handelt sich um Auszüge aus Der Knabe im Brunnen (1953)Der rote Schirm (1968) und Bruder Luzifer (1933).

Horst Lachmund (Trier) und Emil Angel (Mondercange, Lux.) werden sich in selbstverfassten Beiträgen dem Thema annähern.

Die Lesungen sind eingebettet in eine Weinprobe des Schweicher Winzers Jürgen Schmitz vom Weingut Schweicher Hof. – Für die musikalische Untermalung wird Uschi Boes sorgen.

Der Eintritt ist frei.

Bitte um Anmeldung bei: andrekastner60@gmail.com – Tel.: 06502/937648 oder hansjosten-schweich@gmx.de – Tel.: 015902178529.                         

Wir freuen uns auf Ihren Besuch!

Rundbrief Nr. 218 – Im November 2024

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Leserinnen und Leser!

Humanistisches Bildungsinteresse begleitet Stefan Andres auf seiner Griechenlandreise im Jahr 1934. Daher richten sich seine Gedanken in Athen vornehmlich auf die Akropolis mit ihren klassischen Bauten und archaischen Heiligtümern.

Aber es ist im Schatten dieser antiken Tempelburg und unter den Platanen des beschaulichen Wohnviertels„Plaka“, wo der junge Schriftsteller beim griechischen Wein in das gesellige Leben Athens eintaucht. Dort lädt das damals von Andres besuchte Weinlokal „Platanos“ noch heute zum abendlichen Plausch am Odos Mnesikleos ein (Foto im Anhang).

In seinem Reisetagebuch „Sprache des Temenos“ (1935) schildert Andres, wie sich sein Erlebnis- und Erfahrungshorizont in den Gesprächen mit seinem Freund Sokrates erweiterte.

Vom Verlauf dieser „sokratischen“ Dialoge erfahren wir glücklicherweise durch einen Brief des Freundes vom 6. November 1934. Das heute neunzigjährige Unikat ist, was Stil und Partnertaktik anbelangt, ein aufschlussreiches Unikum.

Für die Stefan-Andres-Gesellschaft mit freundlichen Grüßen

Ihr

Wolfgang Keil

Anhang

Rundbrief Nr. 217 – Im Oktober 2024

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Leserinnen und Leser!

Die Novellette „Der Abbruch uns Dunkle“ (1932) schildert das Schicksal einer Frau, die von einer dörflichen Gemeinschaft in die Isolation und in den Ruin getrieben wird. Der mit dem Flurnamen Maroul getarnte Ort steht stellvertretend für gesellschaftliche Einheiten, in denen die lokalegoistische Exklusion und ein zur Raffgier verkommenes Besitzstreben zum Normalverhalten und zum Alltagssport geworden sind.

   Die Eingangspassage liefert neben dem Erzählanlass schon die Einsicht, dass Gnaden- und Gedankenlosigkeit ein unheilvolles Gespann zu bilden vermögen. Selbst in der kindlich-spöttischen Beschwörung spiegelt sich noch die Rücksichtslosigkeit der Machenschaften, mit denen einst ein wehrloses Opfer zugrunde gerichtet wurde. Und das Generationen übergreifende Echo auf die feige Spottformel von „fun and fear“ bestätigt, dass ein tumbes Kollektiv einen Reiz darin findet, die Ächtung eines Mitmenschen zu einer ungesunden, aber unterhaltsamen Tradition zu erheben.

   Stefan Andres folgt mit seiner Erzählabsicht der Erkenntnis, dass der Blick in den Rückspiegel oft die beste Diagnose liefert.

Für die Stefan-Andres-Gesellschaft mit freundlichen Grüßen

Ihr

Wolfgang Keil

Anhang: Diagnose im Rückspiegel

Rundbrief Nr. 216 – Im September 2024

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Leserinnen und Leser!   

Stefan Andres‘ Erzählung „Das goldene Gitter“ (1940), angeregt durch den Capri-Aufenthalt des jungen Schriftstellers im Jahr 1932, vermittelt in ihrer humorigen Gestaltung die Vorstellung von volkstümlicher Frömmigkeit und einem sinnenfrohen, erdzugewandten Christentum, wie es Andres schon mit dem „heiligen Pfäfflein Don Domenico“ präsentiert hat.

In der Gestalt des nach seiner geistlichen Eigenschaft einfach Zio Prete (Onkel Priester) genannten Protagonisten begegnet man, wie Dieter Richter, der Herausgeber des Andres-Bandes „Terrassen im Licht“ (2009), in seinem Kommentar vermerkt, einer Figur mit „derb-irdischen Zügen“.

Der ausgewählte Passus stellt den Priester als gewieften Makler dar, der kirchlichen Segen in bare Münze umzuwandeln versteht und der auch nicht davor zurückschreckt, einen wundertätigen Heiligen für seinen Handel einzuspannen. In dieser Absicht organisiert der Schelm eine Pilgerreise nach Sant‘ Agnello bei Sorrent.

Die Erzählung erinnert in ihrem heiter-erbaulichen Stil an die Kalendergeschichten von Johann Peter Hebel. Zio Prete scheint in Denk- und Handlungsweise sogar deutlich dem schlitzohrigen Protagonisten in dessen Erzählung „Der schlaue Pilgrim“ nachempfunden zu sein.  

Für die Stefan-Andres-Gesellschaft mit freundlichen Grüßen

Ihr

Wolfgang Keil

Anhang: Rundbrief Nr. 216

Rundbrief Nr. 215 – Im August 2024

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Leserinnen und Leser!

In seiner einfühlsamen Satire „Verteidigung der Xanthippe“ (1942) entwirft Stefan Andres das Porträt der Frau des Sokrates in neuen Farben. Die zum Inbegriff des „zänkischen Weibes“ herabgewürdigte Xanthippe erhält bei ihm die Stimme der sorgenvollen Ehefrau.

Wie Bertolt Brecht in seiner Erzählung „Der verwundete Sokrates“ (1939) macht es sich auch Stefan Andres zur Aufgabe, die redensartlich gemeinhin als zänkisch geschmähte Xanthippe zu rehabilitieren und die literarisch bezeugte Frauengestalt in ihrem Selbstverständnis und ihrer ehelichen Beziehung zum allseits gerühmten Philosophen zu würdigen.

Die Frau des Sokrates, die Platon im „Phaidon“ ohne erkennbare Herabsetzung erwähnt, war  zur Verkörperung des zänkischen Weibes geworden infolge einer denunziatorischen Frage, die Xenophon in seinem „Gastmahl“ dem Sokrates-Schüler Antisthenes in den Mund legt:

„Warum nur, Sokrates“, fragte ihn Antisthenes, „erziehst dann nicht auch du in dieser Erkenntnis Xanthippe, sondern hast in ihr die unverträglichste  Frau von allen, die es gibt – ja, ich glaube, sogar von allen, die es gegeben hat und geben wird?“

Stefan Andres nimmt zum Zweck der Rehabilitierung ausdrücklich Bezug auf diesen Urheber der Xanthippe-Verunglimpfung und setzt gegen dessen schiefes Porträt das Bild einer Frau, die durch ihre Identität und ihr Rollenverständnis unsere Achtung verdient.

Im gerechten Ausgleich zu Platons „Apologie des Sokrates“ erhalten wir damit die lang fällige „Apologie der Xanthippe“.

Für die Stefan-Andres-Gesellschaft mit freundlichen Grüßen

Ihr

Wolfgang Keil

Anhang

Rundbrief Nr. 214 – Im Juli 2024

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Leserinnen und Leser!

In den Anekdoten „Die Methode“ (1942) und „Theorie des Gitarrespiels“ (1938) lotet Stefan Andres die Zuträglichkeit normabweichenden Verhaltens aus. Beide Texte haben betrügerische Handlungen und deren Enthüllung zum Gegenstand.

Die Anekdote „Die Methode“ (I) schildert die Entlarvung eines selbsternannten, völlig unfähigen Sprachlehrers, dessen Täuschungsmanöver zwar nicht direkt gebilligt, aber auch nicht moralisierend verurteilt wird.

In der Anekdote „Theorie des Gitarrespiels“ (II), die von der historischen Königin Marie-Antoinette wenige Jahre vor ihrer Hinrichtung im Jahr 1793 handelt, wird die Hochstapelei eines falschen Musiklehrers geradezu belobigt, sein ehrliches Geständnis hingegen getadelt.

Mit der kleinen literarischen Versuchsanordnung sorgt Andres für die Leseerfahrung, dass gleiches Tun durchaus gegensätzlich bewertet werden kann, wenn – nach je philosophischer Sichtweise oder gesellschaftlichem Status – nicht so sehr nach dem Inhalt der Tat, sondern nach dem „Format“ des Täters gewertet und geurteilt wird.

Für die Stefan-Andres-Gesellschaft mit freundlichen Grüßen

Ihr

Wolfgang Keil

Anhang: Auszüge aus (I) und (II)

Rundbrief Nr. 213 – Im Juni 2024

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Leserinnen und Leser!

In seiner als Rezension verkleideten Anekdote Ehrenvoller Diebstahl (Kölnische Zeitung vom 22. 1. 1941) zollt Stefan Andres der chinesischen Kultur seinen Respekt.

Er zitiert in seinem Text eine Passage aus dem 240 v. Chr. entstandenen Weisheitsbuch Frühling und Herbst des Lü Bu We, um vordergründig mit dem darin enthaltenen Beispiel chinesischer Denkakrobatik am Trapez der Paradoxien auch die geistige Höhe des enzyklopädischen Werkes zu demonstrieren.

In erster Linie aber geht es Andres bei dem zitierten Auszug aus Was der Fürst wahren muss (Buch XVII, Kapitel 2) um die Vorstellung einer politisch reifen Staatsführung, der von einer wie im phrygischen Gordion orakelten Verheißung imperialer Machtentfaltung erfolgreich abgeraten wird. – Mit dem kommentierten Zitat betreibt Andres eine ebenso mutige wie klug inszenierte Regimekritik.

Andres-Forscher M. Moßmann nennt in seiner Studie Süße Oliven in Salzwasser den von Siegesmeldungen des Kriegsjahres 1941 umgebenen Zeitungsbeitrag das „Meisterstück“ des regimekritischen Schriftstellers Andres.

Für die Stefan-Andres-Gesellschaft mit freundlichen Grüßen

Ihr

Wolfgang Keil

[Verknoteter Rat]

Werden wir selber einmal beispielhaft, vergleichen wir die Geschichte des Gordischen Knotens mit der folgenden: Ein Mann aus Lu schenkte dem König Jüan von Sung einen Knoten. Der König ließ einen Befehl durch sein ganzes Land gehen, dass alle geschickten Leute kommen und den Knoten auflösen sollten. Aber niemand vermochte ihn aufzulösen. Ein Schüler von Erl Schuo bat um die Erlaubnis, hinzugehen und ihn auflösen zu dürfen. Aber er konnte nur eine Hälfte auflösen, die andere Hälfte konnte er nicht lösen. Da sprach er: „Es ist nicht so, dass man ihn auflösen kann und nur ich ihn nicht aufzulösen vermag, sondern er lässt sich überhaupt nicht auflösen.“ Man befragte den Mann von Lu. Der sprach: „Ja, man kann ihn wirklich nicht auflösen. Ich habe ihn gemacht und weiß, dass er nicht auflösbar ist. Aber einer, der ihn nicht gemacht hat und doch weiß, dass man ihn nicht lösen kann, der muss noch geschickter sein als ich.“ So hat der Schüler des Erl Schuo den Knoten dadurch gelöst, dass er ihn nicht gelöst hat.

Wer würde nicht eingestehen müssen, dass der Schwertstreich des tüchtigen Alexanders gegen die Erkenntnis des Schülers von Erl Schuo einen Bubenstreich bedeutet? Dabei ist es aber der Chinese, der sagt: „Zu vieles Denken schadet nur, zu viele Bemühung um Einzelfähigkeit bringt nur Unheil! Zu viel Rechthaben macht verrückt!“

Auszug aus: Ehrenvoller Diebstahl ‚Frühling und Herbst des Lü Bu We‘ von Stefan Andres.In: Wir sind Utopia. Prosa aus den Jahren 1933 – 1945. Göttingen 2010.

Andres zitiert nach Frühling und Herbst des Lü Bu We. Aus dem Chinesischen übersetzt u. erläutert von Richard Wilhelm. Originalausgabe 1928 bei Eugen Diederichs in Jena.

Rundbrief Nr. 212 – Im Mai 2024

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Leserinnen und Leser!

In seinem Buch „Die unfassbare Vielfalt des Seins“ (2023) sinnt der Zukunftsforscher J. Bridle über Formen der Intelligenz nach, die jenseits der menschlichen Grenzen angesiedelt sind. Dabei lässt er die Wissenschaftsgeschichte dort beginnen, wo das Orakel der Apollon-Prophetin Pythia die antike Welt deutete und dadurch überhaupt erst geistig schuf. Wenn man das Denkbild „Die zweierlei Wagenlenker“ (1935) von Stefan Andres neben die Ausführungen des Futurologen Bridle hält, könnte man annehmen, dieser habe das Delphi-Konzept von Andres als Muster in sein eigenes Werk implantiert. 

   Verblüffend nah kommen sich die Vorstellungen der beiden Autoren vom „Nabel der Welt“, zu dem die Griechen um der Verehrung und Erkenntnis willen pilgerten. 

   Die fromme Wallfahrt zum Gott Apoll kontrastiert Andres mit einer Postautofahrt, die Delphi zu einem „Abstecher“ der touristischen Reiseroute schrumpfen lässt. Es ist daher nicht überraschend, dass sein moderner „Postautochauffeur“ nur wenig gemein hat mit der Figur des gottgefälligen Wagenlenkers im Museum von Delphi, denn der griechische  Autolenker von heute kennt nicht den Mythos vom heiligen Bezirk, in dem seine Vorfahren einst so fromm wurden, „dass sie sich selber nicht wiedererkannten“. 

   An diesen Mythos schließt der Futurologe Bridle bei seiner Forderung nach Berücksichtigung auch nicht-menschlicher Intelligenzen an. Er möchte ein tieferes Wissen und längeres Gedächtnis, als es nur anthropozentrisch geartete Instrumente bereitstellen, fruchtbar machen. – Sein symbiotisches Utopia wäre dann eine positive Antwort auf die Frage bei Andres „ob der schaffende Mensch, der seiner Welt Götter aufrichten will“ vielleicht doch kein Tor ist.

Für die Stefan-Andres-Gesellschaft mit freundlichen Grüßen

Ihr

Wolfgang Keil

PS: Die Reise vom Parnass zur Zummethöhe ermöglicht der verein-literaturlandschaften@t-online.de 

Anhang Delphi

Rundbrief Nr. 211 – Im April 2024

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Leserinnen und Leser!

Passend zur hundertsten Wiederkehr des Todesjahres von Franz Kafka beinhaltete das Abitur-Thema am Stefan-Andres-Gymnasium Schweich die Bearbeitung eines Prosatextes des berühmten Prager Schriftstellers. Diesem günstigen Umstand will der folgende Kommentar zur Verleihung des StA-Abitur-Preises Rechnung tragen, indem er das literarische Verhältnis von Stefan Andres zu Franz Kafka skizziert:

Zum sechsten Mal konnte 2024 der StA-Preis für die beste Abiturarbeit im Fach Deutsch am Stefan-Andres-Gymnasium vergeben werden. Die diesjährige Preisträgerin ist Anastasia Pauly. Sie hat die von dem betreuenden Fachlehrer Jan Weis gestellte Aufgabe zu Franz Kafkas Prosatext „Der Fürsprecher“ (1936) in überzeugender Weise erfüllt.

Kafkas Denkbild erweist sich als typisch für die juristisch-prozessual gestaltete Weltsicht des Prager Autors, indem es „Anklage, Fürspruch und Urteil“ dem allgegenwärtigen inhaltsleeren „Dröhnen“ des kollektiven Gesetzes im „Gerichtsgebäude“ zuweist, die Suche nach einer Verteidigung des eigenen Lebenskonzepts durch eine Intervention von außen, die nur – wie die „alten Frauen“ – „Mauer“ sein kann, aber schließlich aufgibt zugunsten eines notwendigen individuellen Weges.

Mit der Abwesenheit der verteidigenden „Fürsprecher“ entfällt auch die Bedrängung durch die Schuld suggerierenden tierhaften Ankläger. Indem der Protagonist seine klagend-anklagende Haltung aufgibt, verpflichtet er sich zu einem selbstverantwortlichen Handeln. Dementsprechend macht er sein Leben zur „Treppe“, deren Stufen „unter den steigenden Füßen“ unaufhörlich wachsen und so buchstäblich dafür sorgen, dass der Steigende in einem endlos weltschaffenden Schritt den Boden nicht unter den Füßen verliert.

Ein Zurück oder Hinab kommt nicht mehr infrage, da die unsichere Wahrnehmungskategorie Raum durch diejenige der drängenden Zeit ersetzt wird. Diese bewirkt eine einsinnige Ausrichtung – trassiert als Ausweg ohne erkennbares Ziel. 

Anders als die ebenfalls zum selbständigen Handeln auffordernde Kafka-Parabel „Ein Kommentar“ endet der Prosatext „Der Fürsprecher“ also nicht in einem handlungsdemontierenden „Gibs auf, gibs auf“, sondern in der psychologisch motivierten Richtungsvorgabe „aufwärts“. 

Es ist denkbar, dass der mit Franz Kafka vertraute Stefan Andres – in seinen Roman „Die Dumme“ integriert er sogar eine Kafka-Parabel – von der Erzählung des berühmten Prager Schriftstellers angeregt wurde, denn die Andres-Anekdote „Der siebente Paragraph“, ein Jahr nach dem Kafka-Denkbild veröffentlicht, handelt ebenfalls von einem „Fürsprecher“.

Der Verdacht der Anregung durch Franz Kafka wird durch die Tatsache verstärkt, dass Stefan Andres seine Gerichtsanekdote in der Hauptsache „im alten Rathaus“ von Prag spielen lässt – realiter kaum hundert Schritt entfernt vom Geburtshaus des „Franze Kafky“.

Stefan Andres: „Der siebente Paragraph. Anekdote“. In: Erzählungen – Anekdoten – Denkbilder. Schriftenreihe der StA-Gesellschaft, Heft Nr. 8. Schweich 2022.

Rundbrief Nr. 210 –  Im  März 2024

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Leserinnen und Leser!

Tiefer Schmerz spricht aus den Sonetten, die Stefan Andres in dem Zyklus „Requiem für ein Kind“ an seine im Alter von neun Jahren verstorbene Tochter Mechthild richtet.

Das Sonett XXI aber ist der poetische Versuch, den Tod zu überwinden und Auferstehung zu feiern. Es verdient in seiner Verschmelzung von Immanenz und Transzendenz erneut gelesen zu werden.

Am Ostermorgen wars, ich sah gen Osten

Und wartete wie alles: Meer und Baum,

Die Wellen sprachen halb noch wie im Traum,

Des Lichtes junge Triebe leise sprossten.

Da stieg vom Hügel, der dem Blick sonst wehrte

Ins Licht so manches Mal, der Lerche Sang,

Wie Ankerlichten klangs, so süß und bang,

Doch ich war traurig, da das Licht sich mehrte.

Der Frauen dacht‘ ich, die zum Grabe liefen

Und ging zum Hügel hin, doch nicht geschwind.

Da wars: die Lerchen hoch wie Engel riefen!

Ich blickt empor und sahs: als eine Blüte

Die Sonne stand, dein Grab inmitten, Kind!

Ein Ostermorgen wars – voll Licht und Güte!

Für die Stefan-Andres-Gesellschaft

mit den besten Wünschen zum Osterfest

Ihr

Wolfgang Keil

Anhang: Mitgliederversammlung u. Präsidentschaft