Rundbrief Nr. 165 – Weihnacht 2020

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Leserinnen und Leser!

In seinem Roman „Die Arche“ (1951), dem zweiten Teil der Trilogie „Die Sintflut“ (1949-1959), schildert Stefan Andres die prekäre Situation in einem Schweizer Heim, in das sich Verfolgte aus dem Reich des totalitären Herrschers, der von Deutschland aus Europa und die Welt bedroht, geflüchtet haben.

Historisch darf man sich den letzten Heiligabend vor dem Zweiten Weltkrieg vorstellen, an dem Lorenz Gutmann, der Protagonist des Romans, gebeten wird, eine Weihnachtsansprache (s. Anhang) zu halten.

Lorenz ist Theologiestudent und verkörpert als Gegner des Regimes, das im Roman deutliche Züge des Nationalsozialismus trägt, eine Position, die ihn in Wort und Geist zum Sprachrohr des Autors Stefan Andres macht. 

Um die Verwandtschaft von Romanautor und -figur besonders zu markieren, lässt Andres den Theologiestudenten Lorenz Gutmann im dritten Roman der Trilogie, „Der graue Regenbogen“ (1959), seinerseits zum Autor eines literarischen Werkes werden, das der Schriftsteller Stefan Andres selbst verfasst hat: Wie Stefan Andres wird Lorenz Gutmann nämlich zum Verfasser einer Lebensbeschreibung des Kirchenvaters Synesios.

Wir wissen u. a. durch ein Video, 1959 in Unkel aufgenommen, dass Stefan Andres zur Zeit der Vollendung der Trilogie schon intensiv mit dem Stoff beschäftigt war, aus dem der Roman „Die Versuchung des Synesios“ (1970) hervorgehen sollte. 

Man hört daher die Weihnachtsansprache einer Romanfigur, deren Nähe zu Stefan Andres in einzigartiger Weise verbürgt ist. Kennzeichnend für diese geistige Verwandtschaft ist nicht zuletzt der Verzicht des Redners auf die Erzeugung einer gefühligen Weihnachtsstimmung zugunsten einer religionsphilosophischen und letztlich ethischen Dimension der Betrachtung.

Zitate und Bezüge:

Stefan Andres: „Die Sintflut. Roman.“ Hg. John Klapper. Göttingen 2007. Ausgabe letzter Hand. Vom Autor gekürzte Fassung der ursprünglich dreibändigen Trilogie „Die Sintflut“: „Der erste Roman. Das Tier aus der Tiefe.“ München 1949. (818 Seiten).  „Der zweite Roman. Die Arche.“ München 1951. (679 Ss.). „Der dritte Roman. Der graue Regenbogen.“ München 1959. (493 Ss.).

„Stefan Andres. Unkel am Rhein 1959.“ – Filmdokument für Zeitgeschichte. Institut für den wissenschaftlichen Film (IWF). Göttingen 1959. 

Für die Stefan-Andres-Gesellschaft

                   mit weihnachtlichen Grüßen und Wünschen

Ihr

Wolfgang Keil

Anhang: Rundbrief Nr. 165 Weihnachten 2020