Rundbrief Nr. 177 – Im November 2021

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Leserinnen und Leser!

Mit den Sittenbildern „Die Erben des Lebens“ (1943/4) und „Rom, im Jahre 1595“ (1940) hat sich Stefan Andres eines literarischen Mediums bedient, das zu einer kritischen Betrachtung der Zeitumstände im Rom des 16. Jahrhunderts auffordert. Die Manifestation des Niedergangs päpstlicher Gesittung und Gesinnung, offenbart im Exzess der Gewalt und im Verstoß gegen Jesu Abschiedsworte „ut omnes unum sint“, verbindet die bekenntnishaften Darstellungen. Deren thematische Nachbarschaft wird betont durch die gleich oder ähnlich lautenden Bezeichnungen der jeweiligen Handlungsträger.

In „Die Erben des Lebens“ schildert Andres, wie unter Papst Julius II. vor allem Adelige wegen ihres oft sehr freizügigen Lebenswandels hingerichtet werden. Der Geruch ihrer auf der Engelsbrücke zur Mahnung ausgestellten Leichen durchdringt das Geschehen.

In „Rom, im Jahre 1595“ (Auszug im Anhang) ist der Zerfall der Sitten so weit vorangeschritten, dass der Briefschreiber Ludovico seinem Freund Huosi im fernen Osten gestehen muss, Rom sei nicht mehr der Ort, von dem die mater ecclesia ihre christliche Botschaft ausstrahle. Trost und Hoffnung könnten nur noch aus Huosis eben erst missioniertem Land kommen. Rom dagegen liefere den Beweis, dass mit dem Schwert die Gewalt an die Stelle des Rechtes getreten und der Papst derart in diese Welt verstrickt sei, dass er in feiger Weise die Prinzipien einer christlichen Weltordnung verrate, indem er eine „unheilige“ Allianz mit verbrecherischen Aristokraten eingehe. 

Ludovico wird daher seine Reise in das Land der aufgehenden Sonne nicht mit dem Missionsorden der Societas Jesu antreten, sondern im Auftrag der päpstlichen Curie, die „bis an die Grenzen der Erde“ zu gehen bereit sein muss – jedoch paradoxerweise nicht, um dort die christliche Botschaft zu verkünden, sondern, um sich im fernen Asien überhaupt erst wieder ihres eigenen Glaubens und Heils zu vergewissern.

Stefan Andres: Die Erben des Lebens. In: Terrassen im Licht. Italienische Erzählungen. Hg. Dieter Richter. Göppingen 2009.

Stefan Andres: Rom, im Jahre 1595. Rom 1940. Ineditum. Typoskript im Archiv der Stefan-Andres-Gesellschaft Schweich.

Für die Stefan-Andres-Gesellschaft mit freundlichen Grüßen

Ihr

Wolfgang Keil

Anhang